Registrierung, Königsteiner Schlüssel, Verweildauer, Erstaufnahmeeinrichtung, Aufenthaltsbeschränkung, Residenzpflicht, Gemeinschaftsunterkunft, dezentrale Unterbringungsformen, Mindeststandards, Fehlbeleger
Diese Begriffe aus dem Vorwort lassen erahnen, wohin uns das vorliegende Buch führt:
- in ein Aufnahmeland
- in dem von Willkommenskultur gesprochen wird
- in das Jahr 2015
Malte Uchtmanns Fotobuch "ANKOMMEN – Über die Architektur von Flüchtlingsunterkünften in Deutschland" zeigt uns in Farbfotografien die Orte, die von den örtliche Gemeinden und Landkreisen für Geflüchtete bereitgestellt oder neu errichtet wurden: Dabei nähern wir uns Gebäuden aus der Ferne, wir sehen Bilder, die halbiert sind in Himmel und Land, auf dem Horizont stehen 2 bis 3 stöckige Häuser, dicht nebeneinander in geduckter Haltung: alte Gebäude, vielleicht ehemalige Kasernen, umfunktioniert zu sogenannten Gemeinschaftsunterkünften und auch neue Architektur, kastig, modular, aus Schiffscontainern aufeinander gestapelt.
Uchtmann hat Unterkünfte in sieben deutschen Städten fotografiert, bis auf zwei alle in Landeshauptstädten. Das unbestellte Land im Vordergrund verweist auf die Peripherie, günstiges Bauland für Familien, die etwas im „Grünen“ suchen, für Gewerbeflächen oder für Neuankömmlinge aus fernen Kontinenten. Genau genommen endet der Blick des Betrachters am Horizont: über der Architektur ist kein Himmel, kein sattes Sommerblau, kein kühles Winterblau, kein verdichteter Gewitterhimmel.
In Schritten nähern wir uns, wir sehen Fassaden der Häuser, drum herum funktionale Elemente aus der Stadtmöbilierung: Laternen, Bänke, ein Tischtennis aus Beton, laublose Bepflanzungen.
Im Inneren ist alles hell erleuchtet und erinnert an eine sehr moderne Kunstgalerie oder einen asiatischen Supermarkt. Zentralperspektiven führen den Blick in endlos erscheinende Flure, gesäumt von Türen links und rechts und weiter auf Details: ein Bettgestell ohne Matratze, ein Metallspind, ein Tisch in Holzdekor, ein unifarbener Vorhang und vor dem Fenster Helligkeit – sonst nichts.
Die Bilder erzählen keine Geschichten, sind fast gänzlich frei von Anekdotischem. Es fehlen ortsspezifische Referenzen. Uchtmanns „Ankommen“ zeigt modellhaft die architektonische Antwort auf die Herausforderungen von 2015.
Die Arbeit beleuchtet gleichzeitig das Spannungsfeld indem sich die Verantwortlichen der örtlichen Kommunen befanden: wie großzügig will man sein, ohne Neid zu erzeugen, was braucht man zum Leben, wo endet Gastfreundschaft, wo Menschlichkeit?
Die Menschen, die zu uns kommen, sind Mutter, Vater oder Kind, Arbeiter oder Lehrer und alles andere. Das Attribut Flüchtling wird dem zugewiesen, der eine Grenze überschreitet und wer eine Flüchtlingsunterkunft sein Heim nennt.
Uchtmann zeigt uns umbauten Raum und dessen Funktion. Geradezu beklemmend ist dabei die Abwesenheit von Menschen: wo ist das Leitungspersonal der Unterkünfte? Wo sind Sozialarbeiter, medizinisches Personal, der Wachdienst, wo die freiwilligen Helfer aus der unmittelbaren Nachbarschaft und nicht zuletzt: wo sind die Geflüchteten selbst?
Im Vorwort fragt Uchtmann, wie Gebäude, die sich nicht ins Stadtbild integrieren, Integration ermöglichen sollen? Die Kommune kann die Hülle, also die Flüchtlingsunterkunft, bereitstellen. Integration ist dann eine Chance für die Geflüchteten und das Gastland, wenn es zu Austausch und zu Begegnung kommt. Die Abwesenheit von Menschen verweist letztlich auf uns, die Gesellschaft und genauer, auf uns, die Betrachter:innen der Bilder. Integration gelingt, wenn wir sie als Teil der Zivilgesellschaft aktiv leben.
Den Fotografien sind auf farbigem Papier Dokumente der staatlichen Institutionen beigestellt. Satellitenaufnahmen auf die jeweiligen Standorte geben einen zusätzlichen Kontext. Der Einband erinnert an einen Aktendeckel und wird über zwei Ecken mit Gummibändern verschlossen.
Neben den Fotografien ist auch die Gestaltung des Fotobuchs vom Fotografen verantwortet. Bis ins Detail überzeugt die Arbeit konzeptuell und visuell. Mit „Ankommen“ gewinnt Malte Uchtmann mehr als verdient den deutschen Fotobuchpreis 2020/21 in der Kategorie „Studentisches Projekt“.